Winterbergsteigen in der Rondane

Es ist der 28.02.2012, wir sind in Norwegen auf einem kleinen Parkplatz angekommen. Vor 30 Minuten hat mein Opel Bus noch mit der rechten Seite im Straßengraben gelegen doch ein  freundlicher Norweger hat Wolfgang und mich aus dieser Lage befreit. Jetzt kann unserem Winterabenteuer fast nichts mehr im Wege stehen.

Es ist Abend geworden und hinter Wolfgang und mir liegen über 20 Stunden Autofahrt. Wir befinden uns in Mysuseter im Süden der Rondane die wiederum im Süden von Norwegen liegt.

Heute Abend wollen wir noch unsere Pulkas packen und früh schlafen gehen. Die Temperaturen im Tal lagen bei 8!!!! Grad über dem Gefrierpunkt und daher wollen Wolfgang und ich morgen bei Dunkelheit starten. Damit hoffen wir, dass der Schnee heute Nacht durchfriert und wir morgen nicht im Sulz aufsteigen müssen.

Norwegen 2012, Tag 1:

Genau um 06:01 Uhr schnallt Wolfgang seine Pulka an und der Aufstieg ins Gebirge kann beginnen. Bald haben wir die letzten Häuser der kleinen Siedlung hinter uns gelassen und der Wind im Fjell bläst uns ins Gesicht. Langsam färbt sich der Horizont rot bis rosa und bald geht die Sonne auf. Es sind diese Momente die uns „Outdoorer“ immer wieder hinaus ziehen.

Um kurz vor zehn erreichen wir die Hüttensiedlung Rondvassbu und machen eine kurze Pause. Ab hier müssen Wolfgang und ich einige Kilometer über einen großen See marschieren, doch es hat wieder angefangen zu tauen. Obwohl sich auf dem Eis an vielen Stellen Wasser sammelt müsste die Dicke noch ausreichen um uns zu tragen. Somit ziehen wir an der Hütte vorbei und werden von einer größeren Gruppe Menschen beobachtet die neben der Haupthütte in Zelten übernachtet hat. 

Nach fast zwei Stunden machen Wolfgang und ich am Ende des Sees eine längere Pause. Hier oben haben sich im Eis einige freie Stellen gebildet und das Wasser tanzt im Sturm als wolle es den Frühling ankündigen. Mit einigem Abstand marschieren wir weiter und steigen noch etwa hundert Höhenmeter weiter auf, bis unter die riesige Pyramide des Digerronden.

Hier kommen wir gegen 14:00 Uhr an und finden gleich eine schöne Stelle für eine Schneehöhle. Nach 3 Stunden harter Arbeit ist die Behausung soweit fertig, dass wir die erste Nacht darin verbringen können.

Norwegen 2012, Tag 2:

Um 07:30 Uhr treibt der Druck auf meiner Blase mich vor die Schneehöhle. Am Himmel hängen ein paar Wolken doch es scheint ein schöner Tag zu werden. Um halb elf ziehen Wolfgang und ich zur ersten Erkundungstour los. Wir wollen ein paar Kilometer nach Osten um uns die Verhältnisse dort in den Bergen anzuschauen.

Wolfgang und ich beginnen unsere Erkundung durch ein gefrorenes Bachbett. In diesem steigen wir langsam bergauf Richtung Osten. 

Südlich vom Berg Hogronden steigen wir über ein Schneefeld bis auf eine kleine Schulter. Nach unseren ersten Feststellungen hat es auch hier in Norwegen nur wenig Schnee. Die südseitig exponierten Hänge sind zum Teil schneefrei. Dadurch dauert unser Abstieg länger als angenommen. Doch alles in allem sind die Verhältnisse zum Bergsteigen OK. Am frühen Nachmittag sind wir zurück und bauen unser Lager weiter aus.

Norwegen 2012, Tag 3:

Um 07:30 Uhr muss ich wieder aus dem Schlafsack. Leider kann ich nicht nach draußen da der Eingang  fast vollständig zugeweht ist. Ich muss mir meinen Weg mit einer Schneeschaufel frei graben um ganz aus der Höhle heraus zu kommen.

Um elf Uhr gehen Wolfgang und ich auf unsere erste Bergtour. Das Ziel für den heutigen Tag ist der Rondslottet auf dem wir schon 2009 im Winter einmal gestanden haben. Bei bestem Wetter steigen wir über die Nordwest Schulter bis unter den Gipfelaufbau. Von hier ab wird die Route etwas schwieriger, da wir immer wieder durch die dünne Eisschicht einbrechen und oft bis zur Hüfte im Schnee versinken. Gegen 14:00 Uhr stehen Wolfgang und ich auf dem höchsten Gipfel der Rondane. Es weht nur ein leichter Wind und wir verbringen eine gute Stunde hier oben. Ich versuche von allen Seiten auf den riesigen Gipfelsteinmann zu gelangen, was mir am Ende auch mit etwas Mühe gelingt.

Um 15:00 Uhr treten Wolfgang und ich den Rückweg an. Über die stark vereiste Flanke geht es zurück ins Tal. Um 17:00 Uhr kommen wir müde aber froh über die schöne Bergtour wieder an der Schneehöhle an.

Norwegen 2012, Tag 4:

Das Wetter sieht wieder prächtig aus. Heute soll es auf den Hogronden gehen. Dazu starten Wolfgang und ich schon gegen 08:30 Uhr an unserer Schneehöhle. Wir legen die ersten 6 Kilometer schnell zurück und stehen nun vor dem Aufstieg über eine Firnflanke von 35 – 40 Grad. Mit Steigeisen an den Füßen kommen wir auch hier ganz gut vorwärts und steigen gegen halb zwölf auf dem Felsigen Gipfelgrat aus. Von dort ist es noch ca. eine Stunde bis zum Hauptgipfel. Das Wetter wird etwas schlechter und erste Wolken hüllen uns ein. Der Wind ist hier oben so stark das wir ab und zu stehen bleiben müssen um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Es scheint als wären wir durch eine unsichtbare Barriere gestiegen, denn später im Abstieg wird es wieder deutlich ruhiger.

Um 12:30 Uhr stehen Wolfgang und ich auf dem eisigen Gipfel des Hogronden in 2114 Meter Höhe. Hier oben halten wir es allerdings nicht lange aus und so beginnen wir nach einer kurzen Pause mit dem Abstieg. Auch hier liegt wenig Schnee auf der Südseite und so können wir dem Sommerweg über weite Strecken folgen bis zu einer kleinen Hütte am Fuße des Gipfels. Dort treffen wir auf zwei norwegische Bergsteiger die heute aus Lillehammer gekommen sind.

Nach einem kurzen Plausch steigen die beiden weiter zum Hogronden und Wolfgang und ich zum Sore Oksle. Auf diesem kleinen Gipfel machen wir eine letzte Rast vor dem Abstieg. Wolfgang und ich entscheiden uns für den Abstieg nach Süden ins Langglupdalen. Bei normaler Schneelage sicherlich kein Problem, doch in diesem Jahr geht es fast nur über Geröll und brüchige Felsen. Beim Versuch durch eine senkrechte Rinne abzusteigen müssen wir erkennen, dass die Ausrüstung dafür in der Schneehöhle gut liegt doch uns so nicht weiterbringt. Ich steige also wieder zurück auf die Felsen und Wolfgang und ich machen einen weiteren Umweg. Dabei gibt es einige Rinnen zu queren und ein wenig leichte Kletterei. Über ein ca. 35 Grad steiles Schneefeld erreichen wir gegen 16:30 Uhr endlich das Tal.

Jetzt liegen noch etwa 7 Kilometer Heimweg vor uns.

Norwegen 2012, Tag 5:

Heute ist unser erster Ruhetag. Wolfgang und ich beginnen mit dem Ausbau der Schneehöhle um uns auch gegen schwere Stürme zu schützen. Das Wetter ist uns eigentlich zu gut für diese Region. Unsere Schneehöhle bekommt einen längeren Zugang der sich einmal um 360 Grad windet. So verhindern wir, dass selbst bei starkem Sturm Schnee in unseren Schlafraum getragen wird. Um das Ganze zu überdachen stechen wir große Schneeblöcke aus und bauen daraus eine Dachkonstruktion. Oben kommt eine Menge Schnee drauf um alles zu verfestigen.

Norwegen 2012, Tag 6:

Das Wetter hält nach wie vor aber es ist deutlich kälter geworden. Wolfgang und ich wollen heute noch einmal in das Gebiet unweit des Rondslottet. Dort wollen wir einen weiteren Gipfel in Angriff nehmen. Um halb zehn ist der Start am Basislager. Der Himmel ist zwar blau, doch die Wolken sehen nicht gut aus. Hohe Türme am Horizont deuten auf schlechtes Wetter hin. Das Barometer fällt jedoch nur sehr langsam und so gehen wir trotz der schlechten Vorzeichen.

Mit jedem Meter den wir höher steigen wird es kälter und der Wind stärker. Trotz dicker Handschuhe werden meine Finger nicht mehr warm. Auf 2000 Meter treffen Wolfgang und ich die Entscheidung zur Umkehr. Es hat so keinen Sinn mehr.

Gegen Mittag sind wir wieder am Basislager und suchen nun nach einer Beschäftigung für den Rest des Tages. Hier unten ist das Wetter noch OK und der Wind nicht so stark wie in den Gipfelbereichen. Also holen wir die Eisgeräte aus der Höhle und ziehen die Steigeisen an. Nur 50 Meter von unserem Lager entfernt türmen sich hohe Wände aus Schnee und Eis in einem Bachbett auf. Diese Wände sind zum Teil senkrecht und bilden so ein ideales Trainingsgebiet zum Eisklettern/Bergsteigen. Wolfgang und ich verbringen so den Nachmittag und den frühen Abend.

Norwegen 2012, Tag 7:

Das Wetter ist schlechter geworden über Nacht. Starke Winde brausen über das Fjell doch ab und an blitzt die Sonne noch durch den bewölkten Himmel. Wolfgang und ich wollen trotzdem heute eine Besteigung versuchen. Unsere Wahl fällt auf den Digerronden. Der ist direkt vor unserer Haustür und somit entfällt ein langer Anmarsch. Mit Steigeisen an den Füßen quälen wir uns im immer stärker werdenden Sturm über ein riesiges Schneefeld nach oben.

Die letzten 100 Höhenmeter sind mehr ein Schleppen als ein Steigen. Immer wieder brechen wir durch die dünne Schneedecke. Die Sicht beträgt nur wenige Meter und der Sturm wirft uns fast um. Dementsprechend ist die Gipfelrast nur kurz und schnellst möglich treten wir wieder den Rückweg an. Mit jedem Meter Abstieg wird der Wind zwar schwächer, er bleibt aber auch weiter unten noch recht stark. Gegen 16:00 Uhr erreichen wir ausgekühlt unser Lager.

Unsere Vorahnung täuscht uns nicht, es wird die letzte Bergtour in diesem Jahr hier oben sein.

Norwegen 2012, Tag 8:

Das Barometer ist um 30 hPa gefallen und der Eingang komplett zugeweht. An eine Tour ist bei diesen Bedingungen nicht zu denken. Draußen vor der Höhle tobt ein gewaltiger Schneesturm mit Schnee aus allen Richtungen. Wer kurz raus muss zieht sich an als würde er auf eine Expedition zum Nordpol gehen.

Der ganze Spuk hält den Tag über an und geht bis in die Nacht hinein. Morgen wollen wir den Rückmarsch beginnen, aber auch daran ist bei diesem Sturm kaum zu denken. Die Stunden vergehen und immer wenn es sich etwas ruhiger anhört geht es einige Minuten später umso heftiger weiter.  Mit der Hoffnung auf besseres Wetter schlafen wir früh am Abend ein.

Norwegen 2012, Tag 9:

Ich muss mir den Weg nach draußen frei graben. Am Himmel hängen noch ein paar Wolken doch es ist fast windstill. So hatten Wolfgang und ich uns das vorgestellt.

Der Sturm hat die Landschaft komplett verändert. Wo gestern noch Steine zu sehen waren liegen heute schon Tonnen von Schnee. Langsam graben wir unsere Ski und Pulkas aus und beginnen mit dem Packen.

Um kurz nach neun nehmen Wolfgang und ich Abschied von unserem Lager. Ein letzter Blick zurück und für uns beginnt der Rückmarsch. Auf dem großen See begegnet uns ein Mädel mit einer riesigen Pulka. Bei einem kurzen Plausch erfahren wir, dass sie auf dem Weg zum Nordkap ist. Doch das liegt nicht gerade auf unserem Weg und so zieht jeder seines Weges.

Um 14:30 Uhr erreichen wir unseren Bus und eine schöne Wintertour geht wieder einmal zu Ende.